300 Sozialwissenschaften
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Schwerpunkt Sendung
(2015)
Auch die Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung erreicht ihre Leserinnen und Leser als Sendung, als Postgut auf dem Wege der Zustellung nämlich. Wer immer sie liest, hat also mit der Sendung zu tun. Allein das schon ist ein Grund, sich mit der Sendung zu befassen. Und ein gewichtiger Grund dazu: Phänomen und Begriff der Sendung haben, das leuchtet schon intuitiv jeder Postkundin, jedem Radiohörer, jedem Gottesdienstbesucher und jeder Goethe-Leserin ein, eine enorme medienwissenschaftliche Relevanz. Als empirischen, kulturtechnischen Sachverhalt kann man die Sendung – also etwa diese Ausgabe der ZMK – physisch in Händen halten (oder auch nicht, wenn die Postsache nicht ankommt), annehmen oder zurückweisen, man kann sie technisch, etwa als Druck- und Redaktionserzeugnis herstellen, sie aufgeben und abholen, verwalten und organisieren, sie bewirtschaften – aber die Sendung lässt sich auch fühlen, verspüren und bemerken, erfüllen und verfehlen, kann bewegen und berühren oder eben unberührt lassen. Ganz real affiziert und attachiert sie, richtet aus und sendet selbst. Als medienphilosophisches Konzept genommen, besitzt die Sendung folglich das Potential zur Entfaltung komplexer Grundannahmen der Medientheorie und zugleich zu ihrer reduzierenden Bündelung und Einfassung. Sie verbindet und durchkreuzt ganz grundsätzlich das begrifflich sorgsam Getrennte, zum Beispiel das Heilige und das Profane, das Materielle und das Immaterielle, das Aktive und das Passive. Sie ist darin ein genuin medienwissenschaftlicher Leitbegriff, an dem sich die gesamte Breite dessen, was Medium sein kann, entfalten lässt, von der Religion bis zum Massenmedium, von der Politik bis zum Postboten, von der Infrastruktur bis zur Entrückung. Sie erzeugt zudem in all ihrer Materialität mannigfaltige paradoxe und reflexive Verläufe – die Sendung überhaupt zu denken, heißt deshalb nicht zuletzt, selber senden und gesandt werden.
Schwerpunkt Synchronisation
(2014)
Nichts ist so aktuell wie die Gegenwart; gegenwärtig sein aber heißt gleichzeitig sein mit etwas anderem, und diese Gleichzeitigkeit muss immer eigens durch geeignete Operationen der Übertragung, der Überbrückung, der Abstimmung und ihre Werkzeuge hergestellt werden. So schlicht erklärt sich die grundlegende und aktuelle Relevanz des Themas der Synchronisierung ebenso wie seine kulturtechnische und medienphilosophische Ausformung. Die aktuelle medientheoretische und medienhistorische Aufmerksamkeit für die Verfertigung der Gegenwart (deren wichtigste Operation diejenige der Synchronisierung ist), wie sie sich auch im Jahresthema 2012/2013 der Forschungen am Internationalen Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie (IKKM) niedergeschlagen hat, reagiert auf eine spezifische zeitphilosophische Spannungslage, die sich im Anschluss an die strukturale und poststrukturale sowie die systemtheoretische Differenztheorie einerseits und an eher empirische, phänomenale, aber auch technikhistorisch und -theoretisch relevante Sachverhalte andererseits ergeben hat. Den ersten Pol dieser Spannung bildet die Dekonstruktion der Präsenz, etwa, im Sinne Jacques Derridas, der Gleichzeitigkeit von Stimme und Ohr beim Sprechen, oder, im Sinne Deborah Eschs, der Live-Übertragung des Fernsehens. Den anderen Pol jedoch bilden die dennoch sich behauptenden phänomenalen und funktionalen Gleichzeitigkeitserfahrungen und -effekte. Sie umfassen etwa das Miterleben des Spielzuges im Sport, wie Hans Ulrich Gumbrecht es gefasst hat, und zahlreiche andere ästhetische, insbesondere erhabene Erfahrungen. Am anderen Ende der Skala gehören aber auch Prozesse wie die technische Einsteuerung und Abstimmung von Taktfrequenzen in Regelkreisen und Übertragungszusammenhängen zu den gültigen Formen effektiver Gleichzeitigkeit. Auch Verdichtungsvorgänge wie die mehr oder weniger instantane, ereignisbezogene wie ereignisförmige Bildung und Auflösung von Publika sind derlei relevante Präsenzeffekte. Die grundlegende Einsicht in die Gemachtheit und folglich Dekonstruierbarkeit der Gegenwart durch Synchronisierungs- und Desynchronisierungsoperationen jedenfalls widerstreitet nach medienwissenschaftlicher Überzeugung nicht ihrer Wirklichkeit im Sinne der Wirksamkeit – der lateinischen »actualitas«, als deren deutschsprachige Entsprechung die Scholastik des Mittelalters bei Meister Eckhart den Begriff der »Wirklichkeit« erst einführte.
Schwerpunkt Textil
(2015)
Textil: Der Titel des Schwerpunkts der vorliegenden Ausgabe der ZMK kann ein Ding, ein Material oder eine Eigenschaft bezeichnen. Als Eigenschaftswort spezifiziert textil indes nicht nur bestimmte Künste näher (den Begriff der textilen Kunst gibt es spätestens seit Gottfried Semper) und umfasst so die Weberei, die Stickerei, das Flechten, Knoten, Stricken, Häkeln, Wirken und vieles andere mehr (Semper zufolge auch die Anfänge der Baukunst), sondern neuerdings auch Medien. Die Rede von den »textilen Medien« zielt offenbar auf einen anderen Aspekt des Medienbegriffs als denjenigen, der von der Trias »Speichern, Übertragen, Verarbeiten« gebildet wird, nämlich auf das Material, nicht auf die Funktion. Nun kann man einerseits diesen Medienbegriff einfach, wie etwa im Bereich der Kunstgeschichte üblich, im Sinne der Materialität eines Bildträgers verstehen. Andererseits jedoch lenkt die Rede von den »textilen Medien«, indem sie die Materialität anstelle der Funktionalität betont, den Fokus auf eine spezifische Medialität des Textilen und darüber hinaus auf eine Medialität des Materials überhaupt. Eben darin liegt der Grund für die seit einigen Jahren zu beobachtende enorme Konjunktur des Textilen in so unterschiedlichen Bereichen wie der Kunst, der Kunstwissenschaft oder der Technik- und Sozialanthropologie. In der Kunstöffentlichkeit belegen eine Reihe von Ausstellungen diese Konjunktur, wie zum Beispiel »Kunst & Textil« in Wolfsburg, »Textiles: Open Letter« in Mönchengladbach, »Decorum. Tapis et Tapisseries d’Artistes« in Paris, »Soft Pictures« in Turin oder »To Open Eyes. Kunst und Textil vom Bauhaus bis heute« in Bielefeld. ...
Schwerpunkt Verschwinden
(2016)
Warum, so fragt klassischerweise die Ontologie, ist überhaupt etwas und nicht vielmehr nichts? Die dieser Frage zu Grunde liegende Dichotomie von etwas und nichts, Sein und Nichtsein, ist aber selbst voraussetzungsreich und keineswegs zwingend selbstverständlich. Sie ist schon als Frage selbst etwas, das auch nicht sein könnte. Und von dieser Möglichkeit ist schon häufiger Gebrauch gemacht worden. Die scharfe Dichotomie von Sein und Nichtsein ist in der Antike etwa vom Atomismus Demokrits und Epikurs, vom Heraklitismus und den Eleaten, in der Moderne dann unter anderem von Lebenswissenschaften, Vitalismus, Historischem Materialismus, Phänomenologie und Ästhetik unterlaufen worden. Diese und andere Sichtweisen ersetzen die Alternative von Sein und Nichtsein durch die Frage nach dem Werden und Gewordensein, nach den Erscheinungsweisen und dem Erscheinen, nach der Produktion und dem Gemachtsein dessen, was ist (oder nicht ist). Damit öffnen sie das Feld für eine nachfolgende Umstellung der ontologischen Frage: Wie kommt das, was ist, zu Stande, wie ist es zum Sein gelangt, geworden, verfertigt, wie und wodurch zur Erscheinung gekommen? Gerade die letztgenannte Wendung bringt dann ganz unverstellt Medien und Medientechniken und deren Handhabung und Verfügung zur Sprache. Medien als Werkzeuge des Eintretens, Erscheinens oder Erscheinenlassens von etwas zu begreifen, ist demnach eine gängige und überzeugende Konzeption. Ebenso kann das Medium auch das Material sein, in dem sich das Eintreten und Heranbilden vollzieht und das an diesen Prozessen noch stets Anteil hat und ihnen mitwirkt.