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Städten kam bei demokratischen Innovationsprozessen immer eine zentrale Rolle zu. Die öffentlichen Verwaltungen der großen Städte stellten Regeln für die Einführung und Ausweitung der bürgerschaftlichen Partizipation auf und reagierten damit auf Erfahrungen und Forderungen, die von der schöpferischen politischen Kraft der sozialen und urbanen Bewegungen getragen wurden. Die Geschichte Barcelonas ist dafür ein typisches Beispiel.
Dank dieser sozialen Errungenschaften können wir von einer Reihe von Gütern und Dienstleistungen profitieren, die lokale Wohlfahrtssysteme ausmachen. Die Stadtverwal-tungen übernehmen die Aufgabe, Ressourcen und Dienstleistungen bereitzustellen, die nicht nur mit Wohlfahrt und Gesundheit in Verbindung stehen, sondern auch mit der Sorge um Umfeld und Umwelt, mit der Förderung von Maßnahmen in Bereichen wie Bildung, Kultur, Kunst oder Sport sowie mit der Dynamisierung von Wirtschaft und Gesellschaft. Ob zuständig oder nicht, die Kommunen müssen auf die Forderungen der Bürger*innen reagieren, sind sie doch die Verwaltungen, die den alltäglichen Problemen und Bedürfnissen am nächsten stehen. Daher liegt es weniger im Belieben der Stadtverwaltungen, ob sie notwendige Innova¬tionen anstoßen, sondern diese sind vielmehr Teil ihres Aufgabenbereichs.
Um den Bedürfnissen der Bürger*innen seitens der öffentlichen Verwaltung gerecht zu werden, kam in den meisten Fällen eine von zwei Methoden zur Anwendung: die direkte Verwaltung durch die Behörden oder die indirekte Verwaltung mit dem privaten Sektor. Mit dem Anbruch einer neuen Zeit, in der alternative Methoden an Bedeutung gewonnen haben, wächst das Interesse an Modellen öffentlich-zivilgesellschaftlicher Zusammenarbeit. Hauptziel dieser Modelle ist es, Verwaltungen und Bürgerschaft eine Zusammenarbeit im gemeinsamen und allgemeinen Interesse zu ermöglichen, indem Projekte unterstützt werden, die Zugang, Nähe und Partizipation in sich vereinen. Vor diesem Hintergrund bietet die Verwaltung öffent¬licher Ressourcen Möglichkeiten zur Entwicklung neuer Formen kollektiver Intelligenz, mit ge¬meinsamer Verantwortung und Synergie zwischen Institution und Bürgerschaft, sodass die Städte zu wahrhaft kooperativen Plattformen für öffentliche Innovationen werden.
Heimo Bachstein, Jahrgang 1937, war Sparkassenangestellter und Filmenthusiast. Er lebte in Marktheidenfeld unweit von Würzburg, wo er 2011 starb. In den 1960er Jahren begann er, Filmplakate und Fotografien zu sammeln, schrieb filmkritische Texte und Vorträge, korrespondierte mit Verleihern, Filmemachern und Festivalleitungen, agierte als Jurymitglied und wurde gelegentlich als Schauspieler besetzt. Im Laufe von fünf Jahrzehnten entstand auf diese Weise in seiner Wohnung ein „Filmkunstarchiv“ – so eine von Bachsteins Bezeichnungen –, das kurz vor seinem Tod als Schenkung an die Bauhaus-Universität Weimar kam.
Szenarien der Moderne
(2016)
Wenige Begriffe vermögen so viel Faszination und Unbehagen gleichzeitig auszulösen wie die Moderne. Der Begriff birgt so viele Unschärfen, dass man eigentlich gut daran tun würde, ihn zu vermeiden. Allein die Frage, was modern sei, oder wann die Moderne begann, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Vielleicht am meisten Kontur besitzt die Moderne als Epochenbegriff der Geschichtswissenschaften, wobei auch dort zwischen ökonomischen, politischen und weiteren Modernen unterschieden wird. Geradezu inflationär ist die Verwendung in der Kunsthistoriografie: Über weite Strecken des 20. Jahrhunderts wurde die Moderne als hauptsächlich ästhetisches Phänomen verstanden und tradiert, bis zur Konstruktion des längst relativierten Mythos der Begründung der Moderne allein durch das Neue Bauen oder gar das Bauhaus.
Spätestens die Postmoderne hat den Begriff endgültig diversifiziert und dazu beigetragen, dass lange „als antimoderne Rückfälle" (G. Weckerlin) beschriebene Strömungen in einer erweiterten Sichtweise als Phänomene modernen Kunstschaffens wahrgenommen werden, wie etwa die Heimatschutzarchitektur oder die Monumentalbaukunst im Nationalsozialismus. Angesichts des entstandenen Spektrums ist heute von einem pluralistischen Begriff der Moderne auszugehen. Für die zweite Jahrhunderthälfte spricht man von Nachkriegsmoderne, Spätmoderne und Postmoderne. Stilistisch decken diese Varianten ein breites Feld ab – vom Funktionalismus über Strukturalismus, Brutalismus bis zum postmodernen „anything goes“. Dass diese Strömungen in ihrer Begriffsdefinition sowie in der Abgrenzung zueinander teils große Ungenauigkeiten aufweisen, verdeutlicht der Begriff der Nachkriegsmoderne, der sich auf das Ende des Zweiten Weltkrieges bezieht und dabei andere Konflikte außer Acht lässt. In manchen osteuropäischen Ländern spricht man daher eher von Ostmoderne oder Sozmoderne.
Unabhängig von der Wirkungsweise der Begriffe ragt die Moderne in verschiedensten Szenarien in unser alltägliches Leben hinein. Dieses Heft zeigt die Vielfalt solcher Situationen an verschiedenen Orten: bei der Betrachtung von Fassaden im Straßenraum, im Museum für Gegenwartskunst, an der Bushaltestelle oder beim Stadtlauf. Die Moderne ist so allgegenwärtig, dass ihre Werte, aber auch ihre Verletzlichkeit gerade deshalb oft nicht erkannt und erfasst werden. Mit dem Problem einer voreingenommenen Wahrnehmung und fehlenden Auseinandersetzung kämpfen zurzeit viele Denkmalämter und bürgerschaftliche Initiativen, die sich zunehmend mit den Baubeständen der Moderne beschäftigen. Das vorliegende Heft bildet eine Spurensuche nach verschiedenen Szenarien
der Moderne ab, die ganz bewusst abseits der breiten Pfade verläuft. Dabei versucht das Heft, die schillernden Facetten und die trotz allem große Bindekraft des Moderne-Begriffes aus verschiedenen Perspektiven zu beleuchten und zu ergründen.
Beiträge zur 2. Fachtagung „Sicherheit auf Baustellen“ am Dienstag, dem 20. März 2001 in Weimar an der Fakultät Bauingenieurwesen, Professur Baubetrieb und Bauverfahren der Bauhaus-Universität Weimar. Der Tagungsband enthält einen Spezialteil „Qualität und Sicherheit auf Baustellen und im Schweißbetrieb“ anlässlich des Ausscheidens von Herrn Prof. Dr.-Ing. habil. Karl-Dieter Röbenack aus dem aktiven Berufsleben.
Hochschulwege 2015
(2017)
Die in diesem Tagungsband zusammengeführten Beiträge beschäftigen sich mit dem Spannungsfeld, das sich zwischen externen Förderprogrammen, Veränderungsprojekten und den Zielen, Strukturen und Bedingungen der jeweiligen Hochschule ergibt. In diesem Spannungsfeld kommt es unweigerlich zu Reibungen, da vorhandene Strukturen und Ziele in Konflikt mit neuen Vorhaben und Ideen geraten. Ein Teil der Projekte stellt allein durch ihr finanzielles Volumen und die daraus resultierende Wirkkraft die tradierten Verhältnisse zwischen Lehre, Forschung und den wissenschaftsstützenden Bereichen in Frage und teils auf den Kopf. Die leitenden Fragen der Tagung und der hier versammelten Beiträge waren daher: Wie bringen Hochschulen ihre individuellen Ziele mit denen der bundesweiten Programme oder länderspezfifischer Fördermaßnahmen überein? Wie gehen Hochschulen mit ihren Projekten um? Wie vollzieht sich Veränderung an den Hochschulen? Und schließlich: Was bleibt von den Impulsen, die Projekte setzen? Die in diesem Tagungsband versammelten Beiträge geben darauf erste, auf dem bisherigen Erfahrungswissen basierende Antworten. Sie setzen sich intensiv mit den Faktoren auseinander, die den Erfolg von Veränderungsprozessen und Projekten befördern oder behindern können und leiten daraus Empfehlungen für Gestaltungsprozesse an Hochschulen ab.
Die Corona-Krise stellt das städtische Zusammenleben auf eine harte Probe. Nicht nur sozialer Austausch, Kultur und Verkehr, sondern auch die kommunale Demokratie ist massiv beeinflusst. Wer kann in der Krise noch mitsprechen? Und wie verändert sie das Zusammenspiel von Verwaltung, Politik und Zivilgesellschaft? Die Beiträger*innen untersuchen anhand von Fallstudien die Auswirkungen der Krise auf die kommunale Beteiligungskultur. Sie fragen mit interdisziplinärem Blick nach der kommunalen Krisenbewältigung und erfolgreichen Governance-Strukturen im Kontext multipler Krisen. Ihr Ansatz der kritischen Urbanistik versteht sich dabei als Einladung zur Reflexion, Debatte und alternativen Praxis.
In diesem Dokument gehen wir den gesamten Fragebogen für die vollständige Gemeinwohlbilanz (kurz GB, katalanisch Balanç Comunitari bzw. BC) Frage für Frage durch und erklären, was mit jeder einzelnen Frage gemeint ist und welche Informationen anzugeben sind. Es wird daher sehr empfohlen, vor dem Ausfüllen des Fragebogens in der App einen Blick auf den gesamten Fragenkatalog zu werfen, weil dies die Erhebung der Daten und die Verteilung der Aufgaben auf die verschiedenen mit der Erstellung der GB befassten Personen erleichtert. Die GB ist ein Selbstevaluierungstool, mit dem Organisationen ihre Tätigkeit unter Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekten bewerten können.
Die folgende Studie misst in wirtschaftlicher Hinsicht den sozialen Wert und die Sozialrendite, die auf einem Teil des Fabrikgeländes von Can Batlló von 2011 bis heute entstanden sind. Um die Beiträge der Nachbarschaftsgemeinschaft in wirtschaftlicher Hinsicht zu messen, wurde eine doppelte Schätzmethode angewandt. Zum einen wurden die Beiträge der ehrenamtlichen Personen von Can Batlló in den Bereichen Verwaltung und Unterhaltung, Reinigung, Bau und Durchführung von Aktivitäten quantifiziert und bewertet. Zum anderen wurde der Wert von Can Batlló berechnet, indem ein Vergleich mit den Kosten angestellt wurde, die entstanden wären, wenn der Bau von Räumen und die Erbringung von Dienstleistungen auf Basis der Referenzpreise der jeweiligen Dienstleistung durch die Stadt erfolgt wären. Diese wirtschaftliche Bewertung der Sozialrendite wird durch die Gemeinwohlbilanz ergänzt, die von der Organisation erstellt wird.
Klangwelten gestalten. Zur Aktualität des Bauhauses in Sound Design und auditiver Stadtplanung
(2021)
Die Gestaltung von Klangwelten ist in den letzten Jahrzehnten in den Fokus von Stadtplanern und Architekten, Produkt-Designern und Musikproduzenten, aber auch der historischen und kulturwissenschaftlichen Forschung gerückt. Der Tagungsband versteht sich als ein Beitrag zu diesem neuen Praxis- und Forschungsfeld. Er will zugleich Bezugspunkte zu Konzepten des Bauhauses als einem historischen Vorläufer aufzeigen.
Städte ohne Wachstum - eine bislang kaum vorstellbare Vision. Doch Klimawandel, Ressourcenverschwendung, wachsende soziale Ungleichheiten und viele andere Zukunftsgefahren stellen das bisherige Allheilmittel Wachstum grundsätzlich infrage. Wie wollen wir heute und morgen zusammenleben? Wie gestalten wir ein gutes Leben für alle in der Stadt? Während in einzelnen Nischen diese Fragen bereits ansatzweise beantwortet werden, fehlt es noch immer an umfassenden Entwürfen und Transformationsansätzen, die eine fundamental andere, solidarische Stadt konturieren. Diesen Versuch wagt das Projekt Postwachstumsstadt.
In diesem Buch werden konzeptionelle und pragmatische Aspekte aus verschiedenen Bereichen der Stadtpolitik zusammengebracht, die neue Pfade aufzeigen und verknüpfen. Die Beiträge diskutieren städtische Wachstumskrisen, transformative Planung und Konflikte um Gestaltungsmacht. Nicht zuletzt wird dabei auch die Frage nach der Rolle von Stadtutopien neu gestellt. Dadurch soll eine längst fällige Debatte darüber angestoßen werden, wie sich notwendige städtische Wenden durch eine sozialökologische Neuorientierung vor Ort verwirklichen lassen.
Schwerpunkt Kulturtechnik
(2010)
Medientheorie und historische Medienwissenschaft sind seit geraumer Zeit dabei, einen Schritt zu tun, der sie hierzulande zumindest teilweise in historische und systematische Kulturtechnikforschung überführt. Die Möglichkeit existiert, dass die Medien als Referenz eines Wissenschaftsparadigmas, das gerade dabei ist, die Forschungs- und Lehrstrukturen dieses Landes zu erobern, sich bereits im Zustand bloßen Nachlebens befinden. Damit kommen mindestens jene Teile der Medienforschung zu sich, die seit der Institutionalisierung von Medienwissenschaft realisieren mussten, dass jene Medien, mit denen sie es seit den 1980er Jahren zu tun hatten, sich nur schwer in den Rahmen der Medien der Medienwissenschaft fügen wollen. Es scheint daher so, als ließe sich mit dem Begriff der Kulturtechniken etwas fassen, das schon seit den 80er Jahren eine Spezifik der entstehenden deutschen Medienwissenschaft gewesen ist, eine Spezifik, die sie den angloamerikanischen media studies ebenso entfremdete wie der Kommunikationswissenschaft oder gar der Soziologie, die, im Banne der Aufklärung und des Gesellschaftsbegriff s stehend, über Medien grundsätzlich nur unter dem Aspekt der Öff entlichkeit nachdenken wollte. Was sich in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts etwa unter dem Titel einer Diskurs- und Medienanalyse formierte, zielte nicht primär auf eine Medientheorie oder die Geschichte von Einzelmedien ab, die längst identitätsstiftend für je eigene Forschungsdisziplinen geworden waren (Fotografie, Film, Fernsehen, Rundfunk), sondern auf eine Geschichte der Literatur, des Geistes, der Seele und der Sinne, die man der Literaturwissenschaft, der Philosophie, der Psychologie und der Ästhetik wegzunehmen gedachte, um sie auf einem anderen Schauplatz aufzuführen: dem der Medien – und gegenwärtig der Kulturtechniken. Weil aber gar nicht die Medien im Fokus der Entdeckung standen, sondern eine Rekontextualisierung der traditionellen Gegenstände der Geisteswissenschaften, genauer eine »Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften« (Friedrich Kittler), kam von vornherein anderes in den Blick als diejenigen Medien, die die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, die Massenmedienforschung oder die Einzelmedienwissenschaften als ihre primären Untersuchungsfelder auswiesen.
Schwerpunkt Synchronisation
(2014)
Nichts ist so aktuell wie die Gegenwart; gegenwärtig sein aber heißt gleichzeitig sein mit etwas anderem, und diese Gleichzeitigkeit muss immer eigens durch geeignete Operationen der Übertragung, der Überbrückung, der Abstimmung und ihre Werkzeuge hergestellt werden. So schlicht erklärt sich die grundlegende und aktuelle Relevanz des Themas der Synchronisierung ebenso wie seine kulturtechnische und medienphilosophische Ausformung. Die aktuelle medientheoretische und medienhistorische Aufmerksamkeit für die Verfertigung der Gegenwart (deren wichtigste Operation diejenige der Synchronisierung ist), wie sie sich auch im Jahresthema 2012/2013 der Forschungen am Internationalen Kolleg für Kulturtechnikforschung und Medienphilosophie (IKKM) niedergeschlagen hat, reagiert auf eine spezifische zeitphilosophische Spannungslage, die sich im Anschluss an die strukturale und poststrukturale sowie die systemtheoretische Differenztheorie einerseits und an eher empirische, phänomenale, aber auch technikhistorisch und -theoretisch relevante Sachverhalte andererseits ergeben hat. Den ersten Pol dieser Spannung bildet die Dekonstruktion der Präsenz, etwa, im Sinne Jacques Derridas, der Gleichzeitigkeit von Stimme und Ohr beim Sprechen, oder, im Sinne Deborah Eschs, der Live-Übertragung des Fernsehens. Den anderen Pol jedoch bilden die dennoch sich behauptenden phänomenalen und funktionalen Gleichzeitigkeitserfahrungen und -effekte. Sie umfassen etwa das Miterleben des Spielzuges im Sport, wie Hans Ulrich Gumbrecht es gefasst hat, und zahlreiche andere ästhetische, insbesondere erhabene Erfahrungen. Am anderen Ende der Skala gehören aber auch Prozesse wie die technische Einsteuerung und Abstimmung von Taktfrequenzen in Regelkreisen und Übertragungszusammenhängen zu den gültigen Formen effektiver Gleichzeitigkeit. Auch Verdichtungsvorgänge wie die mehr oder weniger instantane, ereignisbezogene wie ereignisförmige Bildung und Auflösung von Publika sind derlei relevante Präsenzeffekte. Die grundlegende Einsicht in die Gemachtheit und folglich Dekonstruierbarkeit der Gegenwart durch Synchronisierungs- und Desynchronisierungsoperationen jedenfalls widerstreitet nach medienwissenschaftlicher Überzeugung nicht ihrer Wirklichkeit im Sinne der Wirksamkeit – der lateinischen »actualitas«, als deren deutschsprachige Entsprechung die Scholastik des Mittelalters bei Meister Eckhart den Begriff der »Wirklichkeit« erst einführte.
Schwerpunkt Kollektiv
(2012)
Die neuere und höchst produktive Konjunktur des »Kollektiv«-Begriffs in Soziologie und Kulturtheorie, wie sie sich insbesondere durch die Ent-faltung der Akteur-Netzwerk-Theorie herausgebildet hat, ist zunächst durch vier miteinander zusammenhängende Eigentümlichkeiten gekennzeichnet. Erstens bezeichnet das »Kollektiv« in diesem Sinne vor allem anderen eine Ansammlung von Entitäten zu einem als Ganzem operativen, möglicherweise sogar handlungs- und reflexionsfähigen Komplex. Die Operationen werden dabei erstens im »Kollektiv« und durch das »Kollektiv« ausgeführt, gleichzeitig jedoch sind sie es, die das »Kollektiv« überhaupt erst aufspannen und relationieren und so zusammenhalten und reproduzieren bzw. variieren. Das Besondere daran ist zweitens – und das unterscheidet den »Kollektiv«-Begriff etwa von demjenigen des Systems –, dass es keine Subsumption der beteiligten Entitäten unter das kollektive Gebilde gibt. Die Operationsfähigkeit und der Zusammenschluss führen weder zu einem Aufgehen des Einzelnen im Ganzen, noch zerfällt im Rückfall das Ganze in eine bloße Gesamtheit aufsummierbarer Teile und Effekte. Kurz: Das »Kollektiv« kann nicht über die Beziehung von Ganzem und Teil definiert und schon gar nicht nach einer dieser beiden Seiten hin aufgelöst werden. Drittens, und das ist der vermutlich plakativste Zug des neuen »Kollektiv«-Begriffs, umfasst das »Kollektiv« Entitäten völlig heterogener Art, genauer: Es bringt solche Gegebenheiten zusammen, die nach klassischer ontologischer Tradition verschiedenen Seinsbezirken zugerechnet worden wären. Das sind vor allem die berühmten menschlichen und nichtmenschlichen Akteure Bruno Latours, das sind also Personen und Artefakte, Kultur- und Naturdinge, Intelligibles und Sensibles, Reflexives und Irreflexives, Technisches und Ästhetisches, Bilder und Objekte oder sogar Materielles und Immaterielles wie Geister, Götter und Ahnen, so bei Descola oder Gell. Und viertens schließlich ist der »Kollektiv«-Begriff speziell ein Kontrastbegriff , der innerhalb der »neuen Soziologie« der Akteur-Netzwerk-Theorie an die Stelle des Gesellschaftsbegriff s treten soll, eben um dessen humanozentrische Prägung einerseits und seine subsumptive, generalisierende und anti-partikulare Tradition
andererseits abzustreifen.
Die zunehmende und sich zunehmend ausfächernde Rezeption der Akteur-Netzwerk-Theorie (ANT) in der deutschsprachigen Medientheorie ist als eine der interessantesten Konjunkturen der kulturwissenschaftlichen Medienforschung in den letzten Jahren bezeichnet worden. Zweifellos hängt diese Faszination mit dem Umstand zusammen, dass der Ansatz der ANT der deutschsprachigen Medienforschung einen Ausweg verspricht aus einer Situation, die lange geprägt war vom Gegensatz zwischen Soziologie und Technikmaterialismus oder, mit anderen Worten, vom aufreibenden Kampf um die letztbegründende Instanz des Sozialen oder des Technischen. Da, anders als zum Beispiel in Frankreich und England, hierzulande die Geisteswissenschaften, insbesondere die Literaturwissenschaft, eine wichtige Rolle bei der Entstehung der Medienwissenschaft gespielt haben, konnte dieser noch heute Disziplinen und Forscher voneinander trennende Dissens auch die Gestalt eines Streits um die letztbegründende Instanz des Sinns oder des Nichtsinns, des Hermeneutischen oder des Nichthermeneutischen annehmen. Dabei ist die Frage, ob technische Objekte vollständig sozial konstruiert sind oder das Soziale eine Fiktion ist, die von Techniken produziert wird; oder ob dieser Gegensatz selbst nur ein konstruierter ist, durchaus eine Frage, die auch die ANT im Laufe ihrer ebenfalls durch Querelen gekennzeichneten Geschichte beschäftigt hat. Während die ANT der deutschsprachigen Medienwissenschaft also einerseits ein Versprechen zu machen scheint, so droht sie der kulturwissenschaftlichen Medienforschung andererseits mit dem Verlust ihres ›Markenzeichens‹: der emphatisch betonten empirisch-transzendentalen Sonderrolle der Medien. Daher sieht sich die medienwissenschaftliche Forschung, zumindest soweit sie einen humanwissenschaftlichen Hintergrund hat, der ANT gegenüber zu einer »Gretchenfrage« herausgefordert: Wie hältst du es mit den Medien? Die Antwort fällt, wie könnte es anders sein, zweideutig aus.
Mit dem Thema der Medienanthropologie kehrt eine Fragestellung in den Fokus der ZMK zurück, diesmal als ausdrückliche, die von Anfang an zu den Schwerpunkten ihres wissenschaftlichen Programms gehört hat. In ihrer ersten Ausgabe bereits hat die ZMK sich damit befasst, die philosophische Leitfrage nach dem Menschen medientheoretisch und kulturtechnisch neu zu grundieren. Eine solche Wendung ist daran erkennbar, dass sie von der Frage, was der Mensch sei, umstellt auf Fragen nach dem Werden und Gemachtwerden des Menschen, nach seiner Hominisierung und ihren Diskursen, ihren Verfahren, Werkzeugen und Orten in Raum und Zeit. Nicht so sehr was, sondern wo und wann, unter welchen Bedingungen und mithilfe welcher Instrumente und Operationen der Mensch sei, darum, so der Ausgangsgedanke, geht es der Medienanthropologie. Damals, in der ersten Ausgabe der ZMK, bestand die Leitidee darin, sich diesen Fragen zunächst von der Peripherie her zu nähern und die so verstandenen Bedingungen des Menschseins von der Gefährdung des Menschen, von einem exemplarischen Grenzzustand aus zu betrachten, in dem diese Bedingungen problematisch werden können, nämlich demjenigen der Angst. Heute, und mit der vorliegenden Ausgabe, wird ein anderer, zusätzlicher und zugleich weiter greifender Aspekt gesetzt. Denn das Feld der Medienanthropologie hat sich in den vergangenen Jahren ver-
ändert; die Debatten sind intensiviert und die Forschungen diversifiziert worden. In dieses Feld greift die ZMK nun mit einer dezidierten Position ein, die auf kontinuierliche Diskussionen und Entwicklungen innerhalb der Kulturtechnikforschung und der Medienphilosophie und auch zwischen ihnen aufbauen kann.
Schwerpunkt Mediephilosophie
(2010)
Die prominent und polemisch geäusserte Ansicht, bei der Medienphilosophie handele es sich um eine vorübergehende Angelegenheit, ist vermutlich sehr zutreff end. Medienphilosophie selbst hat nie etwas anderes behauptet. Und genau aus diesem Grund, also eben wegen ihrer Vorläufigkeit, ist Medienphilosophie so wichtig. Sie tritt vielleicht tatsächlich als neue, modische Unterdisziplin der Philosophie auf. Aber sie tut dies, weil sie eine sehr ernsthafte Herausforderung an die Philosophie darstellt. Wie und wann sie wieder vergeht, das hängt davon ab, was sie ausrichtet. Medienphilosophie ist nämlich in ihrem Selbstverständnis ein grundlegend operatives und operationales Unternehmen. Daher rührt ihre große Nähe zu und ihr vitales Interesse an den Kulturtechniken und ihrer Erforschung.
Sie interessiert sich für Eingriff e aller Art – und ist selbst einer. Sie hat – und zwar keineswegs nur metaphorisch – Anteil am materiellen Körper der Philosophie, für den Philosophie selbst, immer hart am Begriff , sich gar nicht interessiert und dies auch nicht tun muss. Zum materiellen Körper der Philosophie zählten bereits die schreibende Hand, vielleicht das vorrangige Medium des philosophischen Eingriffs, und ihr Werkzeug, das Schreibzeug, das sie führt. Als Medienphilosophie widmet sich die Philosophie den Gesten, die sie in der Welt ausführt, und den Operationen, die sie an den Dingen und mit ihrer Hilfe vornimmt.
Schwerpunkt Entwerfen
(2012)
Entwerfen ist ein äusserst unscharfer Begriff. Mit ihm kann je nach Kontext ebenso Zeichnen, Planen, Modellieren, Projektieren oder Darstellen gemeint sein wie Erfi nden, Entwickeln, Konzipieren, Komponieren und ähnliches. Wenn Architekten vom Entwurf reden, verwenden sie das Wort meist in einer Bedeutung, die auf den kunsttheoretischen Diskurs zurückgeht, der im Florenz des 16. Jahrhunderts entstanden ist: Entwurf als disegno. Dementsprechend konnte Entwerfen in der kunsthermeneutischen Rezeption schließlich mit dem ›künstlerischen Schaff ensprozess‹ selbst synonym werden. Im Entwerfen meint man der geistigen Vermögen und Prozesse im künstlerischen Subjekt habhaft zu werden.
An diese Tradition soll hier bewusst nicht angeknüpft werden. Um das Entwerfen als Kulturtechnik in seiner historischen Bedingtheit zu beschreiben, muss es aus dem anthropozentrischen Ursprung herausgerückt werden, an den es der florentinische kunsttheoretische Diskurs versetzt hat. Statt das Entwerfen als fundamentalen Akt künstlerischen Schaff ens zu begreifen und als anthropologische Konstante der Geschichte zu entziehen, wäre eben diese Konzeption als historisches Resultat von diskursiven, technischen und institutionellen Praktiken zu befragen.