Schwerpunkt Kulturtechnik
(2010)
Medientheorie und historische Medienwissenschaft sind seit geraumer Zeit dabei, einen Schritt zu tun, der sie hierzulande zumindest teilweise in historische und systematische Kulturtechnikforschung überführt. Die Möglichkeit existiert, dass die Medien als Referenz eines Wissenschaftsparadigmas, das gerade dabei ist, die Forschungs- und Lehrstrukturen dieses Landes zu erobern, sich bereits im Zustand bloßen Nachlebens befinden. Damit kommen mindestens jene Teile der Medienforschung zu sich, die seit der Institutionalisierung von Medienwissenschaft realisieren mussten, dass jene Medien, mit denen sie es seit den 1980er Jahren zu tun hatten, sich nur schwer in den Rahmen der Medien der Medienwissenschaft fügen wollen. Es scheint daher so, als ließe sich mit dem Begriff der Kulturtechniken etwas fassen, das schon seit den 80er Jahren eine Spezifik der entstehenden deutschen Medienwissenschaft gewesen ist, eine Spezifik, die sie den angloamerikanischen media studies ebenso entfremdete wie der Kommunikationswissenschaft oder gar der Soziologie, die, im Banne der Aufklärung und des Gesellschaftsbegriff s stehend, über Medien grundsätzlich nur unter dem Aspekt der Öff entlichkeit nachdenken wollte. Was sich in den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts etwa unter dem Titel einer Diskurs- und Medienanalyse formierte, zielte nicht primär auf eine Medientheorie oder die Geschichte von Einzelmedien ab, die längst identitätsstiftend für je eigene Forschungsdisziplinen geworden waren (Fotografie, Film, Fernsehen, Rundfunk), sondern auf eine Geschichte der Literatur, des Geistes, der Seele und der Sinne, die man der Literaturwissenschaft, der Philosophie, der Psychologie und der Ästhetik wegzunehmen gedachte, um sie auf einem anderen Schauplatz aufzuführen: dem der Medien – und gegenwärtig der Kulturtechniken. Weil aber gar nicht die Medien im Fokus der Entdeckung standen, sondern eine Rekontextualisierung der traditionellen Gegenstände der Geisteswissenschaften, genauer eine »Austreibung des Geistes aus den Geisteswissenschaften« (Friedrich Kittler), kam von vornherein anderes in den Blick als diejenigen Medien, die die Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, die Massenmedienforschung oder die Einzelmedienwissenschaften als ihre primären Untersuchungsfelder auswiesen.
Schwerpunkt Angst
(2009)
Nach einem Jahrhundert ihres relativ soliden, fraglosen Bestehens sind die modernen Geisteswissenschaften seit etwa 25 Jahren einer tiefgreifenden Herausforderung ausgesetzt. Diese Herausforderung ist so epochal wie die Entstehung der Geisteswissenschaften selbst. Sie wurde und wird weiterhin weder von den exaktwissenschaftlichen Fakultäten noch von den Ökonomisierungsanfällen der Politik vorgetragen, sondern vielmehr vom Aufkommen eines ganz neuen Wissenstyps aus dem Herzen der philosophischen Fächer selbst.
Die Herausbildung und anschließende Institutionalisierung dieses neuen Wissenstyps geschah zunächst disparat und ist heute bei weitem noch nicht abgeschlossen. Aber er hat sich unter verschiedenen Bezeichnungen und in verschiedenen Verfassungen doch inzwischen nachdrücklich etabliert. Seine gewiss wirksamste Form hat dieser neue Wissenstyp und hat diese Herausforderung unter der Bezeichnung der Medien- und Kulturwissenschaft erfahren. Medien- und Kulturwissenschaft muss sich heute, anders als vor gut zwanzig Jahren, kaum mehr eigens behaupten. Die Frage ist nur noch, ob sie sich innerhalb des Kanons der Fächer der philosophischen Fakultät als ein weiteres Paradigma der Geisteswissenschaften durchsetzt oder aber außerhalb Platz findet, als Kompensationsunternehmen.