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Schwerpunkt Mediephilosophie
(2010)
Die prominent und polemisch geäusserte Ansicht, bei der Medienphilosophie handele es sich um eine vorübergehende Angelegenheit, ist vermutlich sehr zutreff end. Medienphilosophie selbst hat nie etwas anderes behauptet. Und genau aus diesem Grund, also eben wegen ihrer Vorläufigkeit, ist Medienphilosophie so wichtig. Sie tritt vielleicht tatsächlich als neue, modische Unterdisziplin der Philosophie auf. Aber sie tut dies, weil sie eine sehr ernsthafte Herausforderung an die Philosophie darstellt. Wie und wann sie wieder vergeht, das hängt davon ab, was sie ausrichtet. Medienphilosophie ist nämlich in ihrem Selbstverständnis ein grundlegend operatives und operationales Unternehmen. Daher rührt ihre große Nähe zu und ihr vitales Interesse an den Kulturtechniken und ihrer Erforschung.
Sie interessiert sich für Eingriff e aller Art – und ist selbst einer. Sie hat – und zwar keineswegs nur metaphorisch – Anteil am materiellen Körper der Philosophie, für den Philosophie selbst, immer hart am Begriff , sich gar nicht interessiert und dies auch nicht tun muss. Zum materiellen Körper der Philosophie zählten bereits die schreibende Hand, vielleicht das vorrangige Medium des philosophischen Eingriffs, und ihr Werkzeug, das Schreibzeug, das sie führt. Als Medienphilosophie widmet sich die Philosophie den Gesten, die sie in der Welt ausführt, und den Operationen, die sie an den Dingen und mit ihrer Hilfe vornimmt.
Schwerpunkt Entwerfen
(2012)
Entwerfen ist ein äusserst unscharfer Begriff. Mit ihm kann je nach Kontext ebenso Zeichnen, Planen, Modellieren, Projektieren oder Darstellen gemeint sein wie Erfi nden, Entwickeln, Konzipieren, Komponieren und ähnliches. Wenn Architekten vom Entwurf reden, verwenden sie das Wort meist in einer Bedeutung, die auf den kunsttheoretischen Diskurs zurückgeht, der im Florenz des 16. Jahrhunderts entstanden ist: Entwurf als disegno. Dementsprechend konnte Entwerfen in der kunsthermeneutischen Rezeption schließlich mit dem ›künstlerischen Schaff ensprozess‹ selbst synonym werden. Im Entwerfen meint man der geistigen Vermögen und Prozesse im künstlerischen Subjekt habhaft zu werden.
An diese Tradition soll hier bewusst nicht angeknüpft werden. Um das Entwerfen als Kulturtechnik in seiner historischen Bedingtheit zu beschreiben, muss es aus dem anthropozentrischen Ursprung herausgerückt werden, an den es der florentinische kunsttheoretische Diskurs versetzt hat. Statt das Entwerfen als fundamentalen Akt künstlerischen Schaff ens zu begreifen und als anthropologische Konstante der Geschichte zu entziehen, wäre eben diese Konzeption als historisches Resultat von diskursiven, technischen und institutionellen Praktiken zu befragen.
Dieses Heft, das Beiträge zum Schwerpunktthema Medien des Rechts versammelt, ist kein Heft wie jedes andere. Es ist unserer Kollegin Cornelia Vismann gewidmet, die am 28. August 2010 viel zu früh gestorben ist. Cornelia Vismann war von 2008 bis zu ihrem Tod Professorin für Geschichte und Theorie der Kulturtechniken an der Bauhaus-Universität Weimar. Sie hat dieser Professur ihr eigenes Profil verliehen, indem sie zum einen die Geschichte und Theorie des Rechts als eine Theorie und Geschichte von Kulturtechniken reformulierte, zum anderen aber auch die unhintergehbare rechtliche Relevanz – die Recht setzende Gewalt – von Kulturtechniken betonte und gezielt herausarbeitete. Dadurch hat sie der Sache und der Erforschung der Kulturtechniken eine unerhörte Dringlichkeit gegeben, eine Dringlichkeit, die ihr Verhältnis zur wissenschaftlichen Forschung und Lehre überhaupt widerspiegelt.
Focus Producing Places
(2014)
Producing places is a twofold topic. It can refer to places as sites that produce something, that are productive, that have operations unfold, or actions happen, or objects emerge. Or it can refer to the fabrication of places as specific entities themselves. With the extended availability and practicability of digital positioning, locating, and tracking systems, it has become evident that places are not just there, but that they are generated, that they are subject to mediatechnological operations and effects. Nonetheless, and at the same time, the aspect of places as being productive has also attracted considerable attention. Furthermore, in either perspective, a media-theoretical challenge has come up. It invests two different threads within the realm of conceptualizing not only space, but precisely place under conditions of media, both of them leading way back into the evolution of media societies and cultural technologies.
Schwerpunkt Offene Objekte
(2011)
Die ›Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung‹ arbeitet an einer Standortbestimmung der Medien- und Kulturwissenschaft; in thematischer, methodischer und struktureller Hinsicht sowie nicht zuletzt in wissenschaftsgeschichtlicher Perspektive. In ihren letzten beiden Ausgaben hat sie verstärkt und konzentriert programmatische Aspekte der Medienphilosophie und der Kulturtechnikforschung ausgearbeitet und vorgestellt. Damit hat sie ihre Aufmerksamkeit auf spezifische – und möglicherweise innovative – Felder und Ansätze innerhalb des weiteren Geschehens der Medien- und Kulturwissenschaft gelenkt und eine Paradigmendiskussion aufgenommen. ...
Schwerpunkt Medien der Natur
(2016)
Der Schwerpunkt der vorliegenden Ausgabe der ZMK – Medien der Natur – scheint den Medienbegriff aus den Grenzen herauslösen zu wollen, die seine konventionelle Semantik ihm auferlegt hat: aus den Grenzen der Kultur und der Geschichte bzw. der Kulturgeschichte. Man greife zu einer beliebigen älteren oder neueren Mediengeschichte – mag sie mit der Feuertelegraphie in Aischylos’ Agamemnon oder mit den Höhlenmalereien von Lascaux beginnen, eins steht auf jeden Fall fest: Medien sind technische Apparaturen und Installationen, und das heißt von Menschen geschaffene Artefakte, Zeugnisse der menschlichen Kultur. Weder enthalten handelsübliche Mediengeschichten die Beschreibung der Genexprimierung, obwohl Molekularbiologen sich dabei eines explizit medientechnischen Vokabulars wie cut-and-paste oder copy-and-paste bedienen, noch feiern sie die evolutionären Errungenschaften der Tierwelt in Sachen Medientechnik. Dabei ist der Zeichenaustausch zwischen Tieren, der Singvögel etwa oder der in Schwärmen und Völkern lebenden Tiere wie der Bienen, Ameisen und Fische schon lange bekannt und bewundert. In bestimmten Fällen ist der Stand der signal intelligence der Tiere von den Menschen aber auch erst sehr spät, während des Zweiten Weltkriegs, eingeholt worden. Motten aus der Familie der Arctiidae zum Beispiel senden ultrasonische Impulse aus, wenn sie insektivore Fledermäuse detektieren. Die die Motte verfolgende Fledermaus empfängt zwischen den Echos ihres von der Motte reflektierten eigenen Signals die von der Motte gesendeten Signale, und schnappt mithin nach einem akustischen Simulacrum der Motte auf halbem Wege zwischen sich und der eigentlichen Beute. Immerhin hat Michel Serres mit dem Parasiten ein aus der Medientheorie nicht mehr wegzudenkendes Konzept geschaffen – und Parasiten sind auch im biologischen Sinne, etwa als Bakterien, in ersten Ansätzen zum Thema der kulturwissenschaftlichen Medienforschung geworden. Die Operationen der Parasiten können durchaus für die Medienforschung anschluss- und ausbaufähig werden, wie etwa im Konzept des Zwischenwirts. Der Egel Leucochloridium paradoxum zum Beispiel, dessen endlicher Wirt Insekten fressende Vögel sind, muss seinen Zwischenwirt, eine Schnecke, auf die insektivore Vögel keinen Appetit haben, optisch in eine Raupe verwandeln (indem er sich in die Augenfühler der Schnecke schiebt), um an sein Ziel (den Vogelmagen) zu kommen.
Focus Mediocene
(2018)
This issue, following an international conference held at the IKKM in September 2017, is devoted to what may very well be the broadest media-related topic possible, even if it is accessible only through exemplary and experimental approaches: Under the title of the »Mediocene«, it presents contributions which discuss the operations and functions that intertwine media and Planet Earth. The specific relation of media and Planet Earth likely found its most striking and iconic formula in the images of the earth from outer space in 1968/69, showing the earth—according to contemporaneous descriptions—in its brilliance and splendor as the »Blue Marble«, but also in its fragility and desperate loneliness against the black backdrop of the cosmic void. Not only the creation but also the incredible distribution of this image across the globe was already at the time clearly recognized as a media eff ect. In light of space fl ight and television technology, which had expanded the reach of observation, communication, and measurement beyond both the surface of the Earth and its atmosphere, it also became clearly evident that the Planet had been a product of the early telescope by the use of which Galileo found the visual proof for the Copernican world model. Nevertheless, the »Blue Marble« image of the planet conceives of Earth not only as a celestial body, but also as a global, ecological, and economic system. Satellite and spacecraft technology and imaging continue to move beyond Earth’s orbit even as they enable precise, small-scale procedures of navigation and observation on the surface of the planet itself. These instruments of satellite navigation aff ect practices like agriculture, urban planning, and political decision-making. Most recently, three-dimensional images featuring the planet’s surface (generated from space by Synthetic Aperture Radar) or pictures from space probes have been cir-culating on the Web, altering politico-geographical practices and popular and scientifi c knowledge of the cosmos. Today, media not only participate in the shaping of the planet, but also take place on a planetary scale. Communication systems have been installed that operate all over the globe.
Am 22. Januar 2017 wurde die Beraterin des amerikanischen Präsidenten, Kellyanne Conway, in einem Meet the Press-Interview gefragt, warum der Pressesprecher des Präsidenten kurz zuvor eine »nachweisliche Lüge« bezüglich der Zahl der in Washington zur Amtseinführung Trumps zusammengekommenen Menschen geäußert habe. Conway antwortete: »Our press secretary, Sean Spicer, gave alternative facts […]«. Das war nicht nur eine Manifestation oder Überbietung von Orwellianischem »Newspeak«. Es war ein Moment, in dem sich ein Bruch mit dem in der westlichen Kultur bislang allgemein anerkannten Paradigma, worin die Faktizität von Daten – seien es Bilder, Zahlen, Aussagen – gründet, offen aussprach. Es war sozusagen ein ironischer Moment der Wahrheit – ironisch, weil dieser Moment einen Höhepunkt des »Post-Truth«-Zeitalters darstellte.
Doch welche Wahrheit? Dass es dazu unterschiedliche und zum Teil kontroverse Auffassungen gibt, zeigen die verschiedenen Deutungen und Instrumentalisierungen, die dieser Moment der Wahrheit in der Folge erfuhr. Der Debattenteil der letzten Ausgabe der Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung hat bereits einen Teil dieser Kontroverse um die Deutung des Phänomens von »fake news« und »alternative facts« dokumentiert. Der Schwerpunkt der vorliegenden Ausgabe setzt diese Kontroverse fort, und zwar deswegen, weil die Kultur- und Medienwissenschaft in mehrfacher Weise vom Ereignis »alternativer Fakten« und den sich anschließenden Kontroversen um ihre Bewertung herausgefordert wird. Sehr schnell wurde nämlich klar, dass die Antwort auf die Frage, welche Wahrheit sich in jenem Moment kundtat, als die Welt aus dem (sich dabei merklich verziehenden) Munde von Kellyanne Conway vom Wunder der Existenz alternativer Fakten erfuhr, nicht einfach nur banal war. So banal wie die Tatsache, dass ein infantiler Narzissmus zur Richtschnur für die Konstruktion der offiziellen amerikanischen Regierungsversion von Wirklichkeit geworden ist, ein Narzissmus, der das, was ist (und wofür es zureichende Gründe gibt), zugunsten dessen verwirft, von dem er möchte, dass es stattdessen sei.
Schwerpunkt Ontography
(2019)
Research in cultural techniques and media philosophy owe their existence to the fading and passing, the becoming impossible, and finally even the ban on ontology. Just like media history and media theory, they even represent a form of processing of this ending of ontology and a reaction to it. The concept of »Being«, the singular subject of all ontology, taken as unchangeable and as residing somewhere behind or even above all its realizations, concretions and manifestations in the materially existing world, had already been strongly suspected by positivism, vitalism and phenomenology, but had not yet been stripped off. Existential philosophy then ventured further, until finally a number of diverse schools of thought like Foucault’s history of knowledge or Derrida’s deconstruction, Quine’s logic, Heinz von Foerster’s constructivism, Luhmann’s functionalism, or process philosophy in the aftermath of Whitehead could definitively reject ontology with highly effective—albeit strongly diverging—reasons and arguments. These theories and philosophical schools did not agree on anything but on the rejection of ontology. Accordingly, the »ontological difference«, which provided that one could not speak about »Being« in the same way as about an existing being, had to be reconsidered. One solution was to project the ontological difference back into the multitude and materiality of the existing and to provide it with a new language of description and to read it against the backdrop of new types of questions. The offer that media theory and history, the cultural techniques approach, and media philosophy were able to make—successfully—in this situation was essentially a reappraisal not only of technics (»Die Technik«) in the ontological sense, but of technologies and techniques, of practices and their aesthetics. To use Heideggers terms, the focus was now set on »switching« (»Schalten«) rather than on »ruling« (»Walten«). The ban on ontology was nonetheless fully respected, and in cultural and media studies the observation of techniques and technologies, means and processes of the incessant self-differentiation of anything that is ruled out the persistent stunning standstill vis-à-vis the great ontological difference of Being and the existing beings.
Schwerpunkt Sendung
(2015)
Auch die Zeitschrift für Medien- und Kulturforschung erreicht ihre Leserinnen und Leser als Sendung, als Postgut auf dem Wege der Zustellung nämlich. Wer immer sie liest, hat also mit der Sendung zu tun. Allein das schon ist ein Grund, sich mit der Sendung zu befassen. Und ein gewichtiger Grund dazu: Phänomen und Begriff der Sendung haben, das leuchtet schon intuitiv jeder Postkundin, jedem Radiohörer, jedem Gottesdienstbesucher und jeder Goethe-Leserin ein, eine enorme medienwissenschaftliche Relevanz. Als empirischen, kulturtechnischen Sachverhalt kann man die Sendung – also etwa diese Ausgabe der ZMK – physisch in Händen halten (oder auch nicht, wenn die Postsache nicht ankommt), annehmen oder zurückweisen, man kann sie technisch, etwa als Druck- und Redaktionserzeugnis herstellen, sie aufgeben und abholen, verwalten und organisieren, sie bewirtschaften – aber die Sendung lässt sich auch fühlen, verspüren und bemerken, erfüllen und verfehlen, kann bewegen und berühren oder eben unberührt lassen. Ganz real affiziert und attachiert sie, richtet aus und sendet selbst. Als medienphilosophisches Konzept genommen, besitzt die Sendung folglich das Potential zur Entfaltung komplexer Grundannahmen der Medientheorie und zugleich zu ihrer reduzierenden Bündelung und Einfassung. Sie verbindet und durchkreuzt ganz grundsätzlich das begrifflich sorgsam Getrennte, zum Beispiel das Heilige und das Profane, das Materielle und das Immaterielle, das Aktive und das Passive. Sie ist darin ein genuin medienwissenschaftlicher Leitbegriff, an dem sich die gesamte Breite dessen, was Medium sein kann, entfalten lässt, von der Religion bis zum Massenmedium, von der Politik bis zum Postboten, von der Infrastruktur bis zur Entrückung. Sie erzeugt zudem in all ihrer Materialität mannigfaltige paradoxe und reflexive Verläufe – die Sendung überhaupt zu denken, heißt deshalb nicht zuletzt, selber senden und gesandt werden.